Porträt des WEF
Vom Insider-Anlass zum globalen Treffpunkt
Zum 45. Weltwirtschaftsforum werden 40 Staats- und Regierungschefs, 260 Minister und 1500 Wirtschaftsführer erwartet, so viele wie noch nie. Doch für das WEF ist das Davoser Treffen inzwischen nur ein Anlass unter vielen.
Jean-Pierre Kapp, GenfDas World Economic Forum (WEF) mit Sitz in Cologny hat einen beeindruckenden Aufstieg hinter sich und wächst immer noch kräftig weiter.
Das 1971 von Wirtschaftsprofessor Klaus Schwab zusammen mit seiner damaligen Assistentin, die er später heiratete, und einer Sekretärin gegründete Europäische Wirtschaftsforum, das in den achtziger Jahren zum Weltwirtschaftsforum umbenannt wurde, entwickelte sich in den vergangenen viereinhalb Jahrzehnten von einem kleinen Anlass für Insider zum vermutlich wichtigsten Treffpunkt für Wirtschaft und Politik weltweit.
2015 gehören praktisch alle der tausend grössten Unternehmen dem Forum als Mitglieder an.
Und daran dürfte auch die im vergangenen Jahr erfolgte Erhöhung der Mitgliederbeiträge um happige 20% kaum etwas ändern.
Beim Weltwirtschaftsforum muss man inzwischen einfach dabei sein.
Von der Bedeutung her ist der Davoser Anlass vermutlich nur noch mit der Clinton Global Initiative, die jedes Jahr unmittelbar vor der Eröffnung der Uno-Generalversammlung in New York stattfindet, zu vergleichen.
Bekannt und anerkannt
Musste sich Schwab 1971 noch Sorgen um die Durchführung und Finanzierung des ersten Davoser Treffens machen und in Brüssel um politische Schützenhilfe für sein Projekt nachsuchen, verfügt die Organisation inzwischen über ein Budget von etwa 250 Mio. Fr., kann ihre Reserven jedes Jahr weiter aufstocken und ist weltweit bekannt und anerkannt.
Am WEF-Sitz im noblen Genfer Vorort Cologny wurde in den letzten Jahren zudem eine weitere, angrenzende Landparzelle dazugekauft, um dem künftigen Wachstum der Institution Rechnung zu tragen.
Mit der Entwicklung des WEF nahm auch dessen Aktionsradius kontinuierlich zu.
Neben dem Weltwirtschaftsforum in Davos führt das WEF inzwischen jedes Jahr das sogenannte «Sommer-Davos» in China durch und organisiert regionale Treffen in Südostasien, Lateinamerika, dem Nahen Osten und in Afrika.
In Cologny entstanden das Centre for the Global Agenda und das Centre for Global Industries.
In Ersterem werden Modelle und Theorien für die Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft und staatlichen Institutionen entwickelt, beispielsweise für die Finanzierung von Infrastrukturprojekten oder die Zukunft des Internets.
Im Centre for Global Industries werden langfristige Strategien entwickelt, welche beispielsweise die Energieversorgung oder den Bereich der Umwelt betreffen.
In einer dritten Abteilung werden wissenschaftliche Analysen zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung ausgearbeitet und publiziert.
Der bekannteste jährliche Bericht ist vermutlich der «Competitiveness-Report».
Schwab hat es in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur geschafft, das Forum zu einem praktisch unumgänglichen Player für die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Politik und internationalen Organisationen zu machen, sondern er hat mit der Schaffung von verschiedenen Communities das Forum und dessen Botschaft auch in Entwicklungs- und Schwellenländern zu verankern gewusst.
Die «Global Shapers», Gruppen von jungen, innovativen Führungspersönlichkeiten aus allen Bereichen, gibt es inzwischen in 400 Städten der Welt.
Die Community der «Young Global Leaders» ist etwas kleiner, aber ebenfalls weltweit präsent.
Über die Schwab Foundation werden seit einigen Jahren auch gezielt Unternehmer in Entwicklungsländern gefördert, die wichtige Beiträge für die Entwicklung des Erziehungswesens und der medizinischen Versorgung leisten.
Den Community-Mitgliedern erwachsen aus ihrer Mitgliedschaft keine direkten materiellen Vorteile, sie profitieren aber vom Know-how des WEF und können bei den Anlässen wichtige Kontakte knüpfen.
Der Fakt, dass sie «Schwabies» sind, erhöht zudem ihre Glaubwürdigkeit und vermutlich auch ihre Kreditwürdigkeit.
Dem Forum sei es gut gegangen, erklärt Schwab im Gespräch.
Seit der Gründung sei es mit Ausnahme des Jahres 1973 immer nur gewachsen.
Mit dem Ende der Bretton-Woods-Vereinbarungen und der Erdölkrise sei klar geworden, dass grenzüberschreitende wirtschaftliche Probleme nicht in einem europäischen Rahmen, sondern nur noch über einen globalen Ansatz gelöst werden könnten.
Seither hat Schwab immer einen guten Riecher für künftige wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen gehabt und das Interesse für das Forum damit kontinuierlich erhöhen können.
Trotzdem lässt sich Schwab durch den Erfolg nicht blenden und hält das WEF zu einem vorsichtigen Umgang mit den Ressourcen an.
10% der Einnahmen werden jedes Jahr als Reserven zurückgestellt.
Der Ausfall eines der grossen Foren wegen einer Naturkatastrophe, einer unvorhergesehenen politischen Entwicklung oder einer Epidemie, wie beispielsweise ein Übergreifen der Ebola-Epidemie auf die Industrieländer, könnte für die Organisation gravierende finanzielle Auswirkungen haben.
Die Zielsetzungen des Forums werden durch den Stiftungsrat festgelegt, der sich viermal im Jahr trifft und dem neben Schwab unter anderem auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IMF), Christine Lagarde, Peter Brabeck, der Verwaltungsratspräsident von Nestlé, und Jack Ma Yun, Präsident des chinesischen Internetkonzerns Alibaba, angehören.
Die operative Leitung des «Unternehmens» erfolgt durch den Exekutivrat, dem Schwab vorsitzt.
Der WEF-Gründer sitzt damit in den beiden Leitungsgremien und hat im «operativen» Geschäft das Sagen, wie Kenner der Institution erklären.
Kein Entscheid wird gegen Schwabs Willen gefällt.
Das ist dem Forum bisher sehr zugute gekommen, denn Schwab hat Zugang zu allen relevanten wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsträgern und wird wegen seiner Kompetenz und seiner Weitsicht weitherum geschätzt.
Die Tatsache, dass das WEF in der Regel mit seiner Person gleichgestellt wird, birgt allerdings auch Risiken für die Zukunft.
Der bald 77-Jährige betont zwar, dass alles geregelt sei, falls ihm unerwarteterweise etwas zustosse, doch das trifft vermutlich nur für eine erste Übergangsphase zu.
Einen Nachfolger hat der WEF-Gründer nie wirklich aufgebaut.